MON REPOS – VILLA SANSSOUCI
- Sebastian Brändli
- vor 2 Tagen
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Aktualisiert: vor 35 Minuten
Die bürgerliche Revolution von 1830 brachte dem Kanton Zürich eine liberale Verfassung. Die hatte zwar «halb-liberale» Vorgänger, aber erst diese neue Verfassung brachte endgültig die neuen bürgerlichen Freiheiten – Niederlassungsfreiheit, Wirtschaftsfreiheit, Bildungsfreiheit. Erst sie brachte persönliche unveräusserliche Freiheit (die wir heute so selbstverständlich finden). Für die Gemeinden war es vor allem die Niederlassungsfreiheit, die vieles änderte. Zwar galt auch diese schon ab 1803 für Kantonsbürger, 1830 wurde das Verfahren aber vereinfacht und Schweizerbürger generell zugelassen. Die Idee, dass eine Gemeinde Neuzuzüger abwehren, oder diese wenigstens mit einer hohen Abgabe belasten könnte, gehörte ab sofort der Vergangenheit an. Möglich wurde auch eine freiere Bautätigkeit – diese Freiheit führte hie und da zu ungeordnetem Bauen, erst die Idee der Raumplanung schränkte sie wieder stärker ein.
Wollishofen war kein Haufendorf, hatte indes einige dörfliche Kerne – das Ober- und das Unterdorf sowie einige Weiler wie Haumesser, Honrain, Am Bach, Muggenbühl und Asp. Die Kerne waren wie Dörfer: eng und platzsparend gebaut. Sie durften im Alten Zürich nicht (oder kaum) erweitert werden. Nach 1830 ermöglichte die neue Freiheit Neubauten auch ausserhalb der Kerne. Es gab zunächst einzelne Pioniere, später wurden diese Neubauten geradezu zur Regel: Man überbaute zusehends stadtnahes Ackerland oder hob Rebberge auf. Die Neubauten konnten durchaus noch bäuerlichen Zwecken dienen, teils wurden sie auch zu neuen Wirtschaften und Gasthäusern. Manchmal wurden aber – in Fortführung der alten Tradition von Landsitzen begüterter Städter – auch einfach feudale herrschaftliche Wohnhäuser erbaut.

Cedernheim, Kilchbergstrasse 113 (früher 85), von Süden, um 1900.
Foto Hans O. Wyss, FA Wyss.
Diesen Fall haben wir vor uns mit der Liegenschaft Kilchbergstrasse 113. Dieses Anwesen wurde als Bauernhaus erstellt, hiess später nach Anbauten «Mon Repos», dann «Villa Sanssouci». Heute heisst das Wohnhaus «Cedernheim». Es wurde 1832 von «einem Herrn Arter»erbaut: Jakob Arter war Weinbauer und Wollishofer Gemeinderat. Seine Familie, die Arter, war ein altes Wollishofer Geschlecht, schon lange im Quartier Erdbrust ansässig. Arter baute also, aufgrund der neuen Freiheiten, ein neues Haus ausserhalb des Dorfes, für sich selber. Nach seinem Tod verkauften die Erben das Haus kurz nach 1850 an Johannes Kunz, einem aus Egg stammenden Posamenter (Bandweber). Kunz vergrösserte das Haus durch einen Anbau massiv. 1860 verkaufte er die im Wert stark gestiegene Baute für Franken 52'000 an Baron von Haaren – das Haus war zum feudalen Anwesen geworden und wurde «Mon Repos» genannt. Was den Baron aus Mitau in Kurland (Baltikum) nach Zürich gebracht hatte, weiss ich zwar (noch) nicht, er bewohnte das Haus auch nicht allzu lange; bekannt ist aber, dass sein Sohn Carl von Haaren sich 1871 in Zürich an der Universität immatrikulierte, gleichjahrs Zürich aber wieder verliess. Damals, 1871, erstand schliesslich Carl Joseph Friedrichs, ein Rheinländer, das Haus an der Grenze nach Kilchberg, das dieser in der Folge fast zwanzig Jahre in seinem Besitz hatte. Über Friedrichs, der ein eigentlicher Abenteurer war, ist einiges bekannt.
Aera Friedrichs...
Carl Joseph Friedrichs (1831-1916) stammte aus Cochem bei Köln. Er war ein unruhiger Geist, versuchte sich in mehreren Berufen, fasste aber nirgendwo Boden. So wanderte er nach Amerika aus, und er war just zu Zeiten des Goldrush’s dort. Und er hatte Glück, machte offenbar ein rechtes Vermögen durch Gold-Schürfen in Montana.* Nach Europa zurückgekehrt, zog Friedrichs mehrere Betriebe hoch, auch eine Bank, nicht allesamt erfolgreich, aber er kaufte 1873 das Anwesen an der Alten Landstrasse, damals noch das letzte Haus vor der Grenze zu Kilchberg. Und er wohnte dort mit seiner Familie (und seinem Hund, einem grossen weissen Leonberger, auf den Namen Bary hörend) bis zum Verkauf 1891.

Familie Friedrichs beim Aussteigen am Schiffssteg in Wollishofen, um 1891.
Foto Hans O. Wyss, FA Wyss.
Friedrichs musste sein Zürcher Anwesen aus gesundheitlichen Gründen aufgeben – er wohnte beim Verkauf bereits an der ligurischen Küste. Er inserierte mehrfach in der NZZ, schon ab 1883:

... und der Übergang zum professoralen Landgut Wyss
Über den Kauf des Anwesens 1891 durch den Uni-Professor Johannes Oskar Wyss (1840-1918) bzw. seine Ehefrau Carolina Kienast sind wir genauestens informiert. Denn im Familienarchiv Wyss (FA Wyss) ist ein Schriftstück erhalten, in dem Sohn Karl Max Wyss die Geschichte aufrollt. Er schreibt:
«In jene Zeit des oberen Gymnasiums [1891-1895] fällt der Kauf des Friederichschen Anwesens in Wollishofen. Meine Eltern hatten schon länger ein Sommerhaus ausserhalb der Stadt gesucht, und als dieses ‚Objekt‘ in der Zeitung stand, das meine Mutter kannte, fuhr sie mit mir in der Argo [dem Boot der Familie] über den See. Wir sahen miteinander Haus, Garten, Obstbäume, Reben, Scheune, Seegarten an mit Herrn Friederichs, und meine Mutter war über alles erfreut. Ich sagte zu ihr, ja das können wir doch nicht kaufen, das sei doch viel zu teuer für uns, worauf meine Mutter sagte; ‚Bis Du jetzt nur still‘. Sie berichtete meinem Vater, der mit meinem Bruder in den Ferien im Wallis weilte; er war einverstanden und meine Mutter schloss den Kauf ab.»**

Vater Johannes Oskar Wyss war Medizinprofessor an der Universität Zürich. Unter anderem begründete er hier die Fächer Hygiene und Pädiatrie, ja er wurde erster Chefarzt des Kinderspitals. Erhalten sind Fotos von Sohn Hans O. von einem Besuch eines Kollegen «Professor Billeter», wohl Jakob Billeter, dem ersten Direktor des Zahnärztlichen Instituts der Universität.
Prof. Wyss begrüsst Prof. Billeter samt Ehefrau im Parks seines Anwesens in Wollishofen.
Foto Hans O. Wyss, FA Wyss.
Gegen Ende seiner Tage lebte Professor Wyss ganzjährig in der Villa Sanssouci. Er realisierte auch einen zweiten Anbau, der das Anwesen nochmals massiv vergrösserte.
Mit dem Tod 1918 von J.O.Wyss endet die professorale Aera Wyss, eine Zäsur, die auch den 1. Teil der Geschichte des Cedernheims abschliesst; eine Fortsetzung wird aber in Bälde folgen.
Sebastian Brändli
* Nach: Carl Joseph Friedrichs. Aufzeichnungen aus meinem Leben. 1884.
** Vom Lob des Stehruders oder Erinnerungen aus meinem Leben von Karl Max Oskar Wyss 1874-1956. Hg. von Pit Wyss, Heft 13, 1993, S. 11.
Mein Dank geht an Pit Wyss, den Architekten und Historiker, der das grosse Familienarchiv Wyss sorgfältig und umsichtig pflegt und auswertet. Seine kleinen Schriften gehören zum Schönsten, was der Turicensia-Liebhaber kennt. Sie werden von der Zürcher Zentralbibliothek aufbewahrt.
Verdankt wird auch die Einsichtnahme in ein privates Manuskript von Martin Illi über die Geschichte des Cedernheims (verfasst um 1985).
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