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AutorenbildSebastian Brändli

NAH BEIM HIMMEL

Aktualisiert: vor 1 Tag

Samuel Weber, geboren um 1870, kam aus Niederried bei Kallnach. Er hatte bei einem Dachdecker im Berner Seeland gearbeitet, wollte aber nicht dort bleiben, es zog ihn in die grosse Stadt Zürich. Hier angekommen, amtete er zuerst einmal als Chauffeur beim Rösslitram. Doch schon bald, ab 1895, finden wir ihn als «Dachdecker» am Burgweg 10, später an der Höschgasse 3, schliesslich an der Hammerstrasse 8 – alles in Zürich-Riesbach. An der Hammerstrasse war er als Dachdeckermeister gemeldet, war verheiratet und hatte fünf Kinder, davon drei Söhne: Samuel, Emil und Edwin. Vater Samuel starb 1920 an der Spanischen Grippe, die drei Söhne, teils Dachdecker, teils Spengler, mussten das Geschäft übernehmen: es entstand die Firma Gebrüder Weber, Riesbach. Das ging gut bis in die 1930er Jahre.


Dachdeckermeister Edwin Weber, mit seinem Angestellten Franz Pechtl – stolz auf den ersten Firmenwagen. Autokennzeichen: ZH 703. Aufnahme 1938. Privatbesitz.


Ob es die Wirtschaftskrise war, familiäre Gründe, oder einfach persönliche: Ende der 1930er Jahre verliess der jüngste, Edwin, geboren 1900, das Geschäft, wechselte die Seeseite und gründete in Wollishofen eine eigene Dachdeckerfirma. Adresse: Albisstrasse 58, der Betriebsschuppen lag allerding an der heutigen Tannenrauchstrasse. Dort blieb die Firma bis 1950.


Dachdeckergeschäft Edwin Weber, Albisstrasse 58. Vor 1950. Privatfoto.


An der Tannenrauchstrasse blieb die Firma bis nach 1950. Dann kam der Wechsel in den Haumesser, Vermieter war der in Wollishofen weit bekannte Jakob «Kohlen-Bryner». Auch im Haumesser war man mitten im Quartier, auch hier lief das Geschäft gut. An einer Messe traf Peter, der am Haumesser das Geschäft vom Vater übernommen hatte, einen Künstler namens Peter Gugg, der ihn mit seinen «Gugg-Kästen» – flache Vitrinen verschiedenster Grösse mit Nachbildungen bäuerlicher Milieus – beeindruckte. Er liess sich von diesem Künstler eine 3-D-Skizze seines Geschäfts im Haumesser im Kleinformat nachbilden.


Dachdeckerei Weber im Haumesser. Peter Gugg. Privatbesitz.

 

Heute ist die Firma an die Söhne Weber übergeben, domiziliert an der Seestrasse 355, wohin man in den 1980er Jahren vom Haumesser gezogen war.


Berufsethos


Worauf ist ein Dachdecker in Zürich stolz? Dass er viele grosse und komplizierte Dächer flicken und neu eindecken konnte. Am Opernhaus geht Peter Weber nicht vorbei, ohne an den grossen Auftrag zu denken. «Das war eine sehr interessante Aufgabe», meint er, «das Dach ist kompliziert und es gilt viele Details zu beachten.» Das letzte grosse Werk war das Dach des Zunfthauses zur Meisen. Dieses ehrwürdige Rokoko-Gebäude, dem «schönsten Zunfthaus des Rokoko in der Schweiz» (ein Zitat, das die NZZ nach Abschluss der Renovation verwendete) wurde bis 2018 vollständig renoviert, eben: inklusive des Dachstuhls und des Dachs. Adi Kälin meinte in der NZZ vom 14. September 2018 zur Bedeutung des Hauses: «Das prunkvolle Palais am Münsterhof, das der Baumeister David Morf nach Pariser Vorbild entworfen hat, fällt in Zürich aus dem Rahmen. In der Regel protzten die alten Zürcher mit ihrem Reichtum ja nicht – oder zelebrierten ihn lediglich im Innern der Häuser. Vergleichbar mit dem Zunfthaus zur Meisen ist am ehesten noch das Haus zur Krone, der heutige Rechberg, mit dem prächtigen Barockgarten.» Und auf diesem Dach arbeitete Peter Weber – worauf er sich pensionierte und das Geschäft wie erwähnt seinen Söhnen übergab.


Ziegel, die älter als das Dach sind...


Eine besonders für den Historiker interessante Episode stammt von einem anderen prächtigen Bau der Altstadt, dem 1702 im Renaissance-Stil erbauten Rathaus. Auch dort wurde gesamtsaniert, inklusive Dach. Auch dort war der Chef selber auf dem Dach. Da fanden die Angestellten der Firma im alten Bestand Ziegel, die offensichtlich älter waren als das Haus, also vor 1700 gebrannt wurden. Einer war deutlich ins 16. Jahrhundert zu datieren!! Wie kam das? Vor der Industrialisierung verwendete man halt auch bei Neubauten noch viel gut erhaltenes Baumaterial, so insbesondere unbeschädigte Ziegel, die erneut verwendet wurden!


...und ein Ziegel aus Wollishofen


Jetzt noch dies: Die Dachdeckerfirma Weber kenne ich zwar seit ich in Wollishofen wohne, aber das Interview mit Peter Weber, dem langjährigen Chef, hat sich durch eine ganz andere Angelegenheit ergeben. Das Wollipedia-Team hat sich für die Ziegelhütte der Baumeister Ulrich und Jakob Staub interessiert, und so kam die Frage auf, ob sich heute möglicherweise noch letzte Ziegel aus dieser Produktion auf Wollishofer Dächern befinden könnten. Was lag näher, als den Fachmann zu fragen: eben Dachdeckermeister Peter. Er hat uns sofort für ein Gespräch zugesagt, und uns auch verraten, dass in seinem Haus im Raindörfli eben ein solcher Wollishofer Ziegel zugegen sei. Kunstvoll verarbeitet zu einer Wanduhr. Man staune und stelle sich den Arbeiter in der Ziegelhütte am See vor, der mit seinem Finger in den noch nassen Ziegel den Ortsnamen WOLLISHOFEN eingekerbt hat. Tempi passati!!


Zeuge des 19. Jahrhunderts: ein auf einem Wollishofer Dach gefundener Ziegel aus der Produktion der Staubschen Ziegelhütte, mit der Zeit zur Uhr verwandelt durch

Peter Weber, Dachdeckermeister. Privatbesitz.



(SB)


 

Herzlichen Dank an Dachdeckermeister Peter Weber für die vielen Informationen und die Fotos und einmaligen Objekte!




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